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Transactions

Humankapital und Kreativitätszwang

Wie wurde die Arbeitskraft zum Humankapital? Und was bedeutet dieser Wandel für die Arbeitnehmenden von heute? Die Historikerin Brigitta Bernet und die Künstlerin Marianne Flotron zeigen in der Ausstellung «Transactions», wie die Ideen der 68er-Generation heute der unternehmerischen Wertschöpfung dienen.
Caspar Türler
Brigitta Bernet
Historikerin Brigitta Bernet setzt ein Fragezeichen hinter das Verständnis des Menschen als Humankapital.

In den 80-er Jahren ebneten Regierungschefs wie Margaret Thatcher und Ronald Reagan den Weg zur Deregulierung, Privatisierung und zur Loslösung des Kapitals von der Produktionswirtschaft. Für Investoren wurde damit der internationale Kauf und Verkauf von Firmen interessant, weil sie auf diese Weise lukrative Geschäfte machen konnten. Der Shareholder Value einer Unternehmung wurde plötzlich wichtiger als die hergestellten Produkte.

«Die unternehmerische Wertschöpfung verlagerte sich von der Produktions- zur Finanzwirtschaft», erklärt die Historikerin Brigitta Bernet, Oberassistentin an der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der UZH. «Ende der 90er Jahre war die Wertschöpfung durch Kapital erstmals grösser als die Wertschöpfung durch Erwerbsarbeit. Heute lässt sich mit einer Stunde Arbeit in der Finanzwirtschaft eine immens höhere Wertschöpfung erzielen als mit einer Arbeitsstunde in der Realwirtschaft. Kein Wunder, sind über 30 Prozent der Schweizer Angestellten im Finanz- und Bankwesen tätig.»

Jenseits der traditionellen Routinen

Parallel zu dieser Verlagerung wandelte sich auch der Umgang der Unternehmen mit ihren Angestellten. Bis dahin verstand man unter «HR» Human Relations, ein Begriff, der in den 30-er Jahren eingeführt wurde. Mit dem Shareholder Value hielt HR in einer neuen Bedeutung, nämlich als  Human Resource Management, Einzug in die Unternehmen. Neben der Aktivierung der Mitarbeitenden, so Bernet, interessierte nun auch deren Assessment, Ranking und Rating im Rahmen einer marktorientierten Evaluationskultur. In diesem Kontext begann man von den Beschäftigten als «Humankapital» zu sprechen. Diese sollen (und müssen auch heute weiterhin) lernen, ihre Performance den profitorientierten Anlegern gegenüber unter Beweis zu stellen.

Das Business Coaching spielt seither eine wichtige Rolle, um diese neoliberale Haltung zur Arbeit bei den Arbeitnehmerinnen und –nehmern durchzusetzen. «Interessant ist, dass das Coaching seine Wurzeln im Human-Potential-Movement der 60er Jahre hat», sagt Bernet.

Damals sagten die 68-er den monotonen Produktionsverhältnissen den Kampf an und forderten Kreativität, Autonomie und Mitbestimmung. «In der vom Shareholder Value geprägten Wirtschaft wurde diese Autonomieforderung in einen Flexibilitätsimperativ verkehrt», erklärt Bernet. Entsprechend wurden nun Personallehren interessant, die von «selbstaktualisierenden» Mitarbeitern ausgingen, welche ihre Potentiale jenseits der traditionellen Routinen und Sicherheitsstrukturen zu entfalten wussten.

Paradoxe Bedeutungsumkehr

Die Methoden, die dazu eingesetzt wurden, wurzeln in der Autoritätskritik der Neuen Linken und den hier entwickelten Konzepten von Widerstand als Empowerment, so Bernet. Es ist verwandt mit dem «Theater der Unterdrückten» (Teatro Oprimido), das der Brasilianer Augusto Boal im Südamerika der Militärdiktaturen entwickelt hat. Mit seinem Theater wollte Boal die Unterschichten auf die Bühne holen und ihnen dort die Erfahrung vermitteln, dass sie – ebenso wie im Theater – auch im Leben eine aktive Rolle spielen konnten. Er gab den Erwerbslosen eine Stimme und machte die Zuschauer zu Aktivisten in einer ad hoc geführten Diskussion um Möglichkeiten der Zukunftsgestaltung.

«Der Business Coach, den wir heute kennen, knüpft an diese Tradition an», sagt Bernet. Der Coach habe das Programm von Boal aber an die unternehmerische Wertschöpfung angeschlossen. Die Besinnung auf die eigenen Ressourcen geschehe hier im Namen des Firmenziels. So formuliert der deutsche Business-Coaching-Pionier Christopher Rauen die Botschaft der New Economy: Das Subjekt soll sich noch stärker mit dem Betrieb identifizieren und sich stetig wandeln, um mitzuhalten. Brigitta Bernet: «Es ist irritierend, wie das Coaching den linken Aufruf zu mehr Kreativität auf die Mühlen der Arbeitgeber geleitet hat. Heute können wir von einem institutionalisierten Zwang zu Wandel und Flexibilität in zusehends schwindenden, rationalisierten Belegschaften sprechen.»

Jenseits der Wertschöpfungslogik

In der Ausstellung «Transactions» steht der Forschung von Brigitta Bernet die Video-Arbeit «Work» der in Amsterdam lebenden Schweizer Künstlerin Marianne Flotron gegenüber. Flotron versucht diese Vereinnahmung wieder aufzubrechen, indem sie Augusto Boals Konzept in die heutige Arbeitswelt überführt. Mithilfe des «Theater der Unterdrückten» versuchen Angestellte eines holländischen Grossunternehmens, sich der Zwänge und Zumutungen der modernen Unternehmenskultur bewusst zu machen, diese über Bord zu werfen und sich wieder als handlungsfähige Individuen zu verstehen, die jenseits jeder Wertschöpfungslogik ihre Berechtigung und Würde haben.

Für ein solidarisches Zusammenleben

Paradoxerweise wurde die Identifikation mit der Lohnarbeit, zu der das Business Coaching anleitet, genau dann zu einem Imperativ, als die Gesellschaft über die «Krise der Arbeit» und das «Ende der Arbeitsgesellschaft» zu diskutieren begann, gibt Bernet zu bedenken. «Das Problem, das uns seit den 80er Jahren beschäftigt, liegt in der Frage, ob uns die Lohnarbeit in Zukunft ausgehen wird.» Anstatt sich immer noch leidenschaftlicher an die Lohnarbeit zu binden, wäre es wichtig, vermehrt darüber nachzudenken, wie ein sinnvolles und solidarisches Zusammenleben aussehen könnte, wenn Lohnarbeit nicht mehr der Knotenpunkt des individuellen und sozialen Lebens ist. «Ich bin mir sicher», meint Brigitta Bernet, «dass das Coaching im Geiste von Boal hierzu die besseren Ideen liefert als das Business Coaching von Rauen.»

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