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Literaturausstellung

Von Marsmännchen und Mondbürgern

Phantastische Geschichten über Marsianer und andere Ausserirdische verraten viel über die Träume und Ängste von uns Erdmenschen, wie eine neue Ausstellung im Literaturmuseum Strauhof zeigt. Philipp Theisohn, SNF-Förderungsprofessor an der UZH, hat die Schau mit dem Titel «Mars – Literatur im All» mitkonzipiert.
Interview: David Werner

Trichterohren und Saugrüssel: So stellte sich der austroamerikanische Zeichner Frank Rudolph Paul die Marsianer vor. Die Illustration, die 1939 im Science-Fiction-Magazin «Fantastic Adventures» erschien, ist ab 26.September zusammen mit zahlreichen anderen Exponaten in der Ausstellung «Mars – Literatur im All» im Strauhof zu sehen.

Herr Theisohn, seit wann spielt der Mars in der Literatur eine Rolle?

Philipp Theisohn: Als eine Lebenswelt lernen wir den Mars im Grunde erst am Ende des 18. Jahrhundert kennen. Zuvor erkunden in Eberhard Christian Kindermanns «Geschwinde Reise auff dem Lufft-Schiff nach der obern Welt» (1744) fünf Astronauten einen der noch nicht entdeckten Marsmonde; auch dem schwedischen Spiritisten Emanuel Swedenborg laufen einmal Marsgeister über den Weg, die ihm Auskunft über die Marsgesellschaft geben. Zum Ort einer literarischen Handlung wird der Mars aber erst in Carl Ignaz Geigers 1790 erschienener «Reise eines Erdbewohners in den Mars», hinter der sich eine scharfe Kritik an den politischen Zuständen der deutschen Staaten verbirgt – verbunden mit der Utopie einer libertären Gesellschaft.

Die Marswelt, wie wir sie heute aus der Populärkultur kennen, entsteht freilich erst mit der Entdeckung der sogenannten «Marskanäle» 1877. Man schliesst aus der Entdeckung, dass es dort oben eine uns technologisch überlegene Kultur gibt – und die wird dann umgehend massenhaft in der Literatur ausgestaltet.

Erforscht die Imaginationen des Ausserirdischen: Der Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn ist seit 2013 SNF-Förderungsprofessor am Deutschen Seminar und leitet das Forschungsprojekt «conditio extraterrestris». (Bild zVg)

Welches ist das beste Mars-Buch, das Sie kennen?

Philipp Theisohn: Das ist natürlich Geschmackssache, aber ich bin ein grosser Freund von «Auf zwei Planeten» von Kurd Lasswitz, eines 1897 erschienenen Doppelromans. Der ist noch im Nachhall der grossen Mars-Euphorie geschrieben, geht also davon aus, dass auf dem Mars eine technologisch und ethisch hochstehende Zivilisation beheimatet ist, die auch auf der Erde schon einen Aussenposten besitzt. Das Hellsichtige an diesem Roman ist, dass es ihm vor diesem Hintergrund gelingt, die Kontaktfrage zu problematisieren. Also: Eine Nordpolexpedition trifft auf die Marsmenschen, bei Lasswitz heissen sie «Nume», weil der Mars auf dem Mars «Nu» genannt wird. Man freundet sich an, es gibt Staatsempfänge, man beschliesst einen Kulturaustausch – und am Ende wird trotz allem eine Invasion daraus. Der Kontakt mit dem jeweils anderen Planeten verändert und beschädigt dabei beide Gesellschaften, die irdische und die marsianische.

Wer hat eigentlich die Behauptung in die Welt gesetzt, Marsmännchen seien grün?

Philipp Theisohn: Das ist nicht ganz so einfach zu bestimmen, da es sich dabei eher um eine virale Information handelt. Dass Ausserirdische «klein» und «grün» sind, das wird um die Wende zum 20. Jahrhundert ein gängiger Topos, Chris Aubeck ist dem einmal nachgegangen. Die verbreitete Annahme, dass es eine speziell marsianische Eigenheit ist, grün zu sein, verdankt sich meines Erachtens wohl eher der Verschleifung dieser Vorstellung von Ausserirdischen mit dem Umstand, dass die Ausserirdischen im 20. Jahrhundert vor allem eben in Verbindung mit dem Mars diskutiert werden. Bei Edgar Rice Burroughs, dessen Barsoom-Serie die Mars-Fantasie des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt hat, gibt es in der Tat eine grünfarbene marsianische Spezies – daneben aber eben auch rote, weisse, gelbe Marsianer und entsprechende Kreuzungen.

Warum hat gerade der Planet Mars die Phantasie von Utopisten so sehr beflügelt?

Philipp Theisohn: Da kommt mehreres zusammen. Zum einen die bereits angesprochene visuelle Evidenz: Man sieht das Gitternetz der vermeintlichen Marskanäle durch das Teleskop, interpretiert es als ein Kulturzeichen und bezieht es auf die zeitgenössischen irdischen Aktivitäten. Der Suez-Kanal ist gerade fertig, der Panama-Kanal in Planung – und da sieht man diese gewaltigen Linien auf einer Planetenoberfläche. Da muss man natürlich glauben, dass es auf dem Mars ganz andere technische Möglichkeiten gibt.

Das Interessante ist gleichwohl, dass man nicht bei der Technik stehenbleibt. Da man glaubt, Planetenalter und planetarische Evolution in Analogie setzen zu können. Da der Mars der ältere Bruder der Erde ist, geht man davon aus, dass der technologische Vorsprung der Marsianer sich einer bereits weiter entwickelten intelligenten Spezies verdankt. Und solch eine Spezies entwickelt natürlich auch andere, «intelligentere» Gesellschaftsformen, Wirtschaftssysteme, tragfähigere ethische Prinzipien. Die Marsianer leben dementsprechend bereits heute in unserer Zukunft. Diese Zukunft wird dann auch politisch von verschiedenen Seiten reklamiert. Manche Diskutanten halten sie für sozialistisch, andere – wie etwa der amerikanische Unternehmer und Astronom Percival Lowell – für technokratisch.

Die Utopie hat übrigens schon von Anfang an eine Schlagseite. Die Kanäle baut man nämlich nach irdischer Ansicht deswegen, weil der Mars am Austrocknen ist und die Restbestände an Wasser effizient verteilt werden müssen. Nach der wunderbaren Zukunft kommt also schon bald das Ende.

Ist der Mars uninteressanter für die Literatur geworden, als sich herausstellte, dass er unbewohnt ist?

Philipp Theisohn: Uninteressanter nicht, augenblicklich boomt die Marsliteratur ja geradezu. Aber man kann dort nun nicht mehr die gleichen Geschichten erzählen. Das sind dann Kolonisationserzählungen, mehr oder weniger komplex. Zum einen geht es dabei um die Bewährung des Menschen in einer tendenziell lebensfeindlichen Umgebung, wie man das etwa in Luděk Pešeks «Die Erde ist nah» (1970) oder jetzt auch aktuell in Andy Weirs «The Martian» paradigmatisch nachverfolgen kann. Zum anderen aber ist das Ziel dieser Erzählungen ja immer die Schaffung einer zweiten Erde, aufgebaut auf anderen, «vorsorgenden» Prinzipien. Es geht also um eine zweite Schöpfung aus menschlicher Ersterfahrung mit einem Planeten, den man fast kaputtgekriegt hat. Da gibt es schon recht interessante Texte, etwa Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie. 

Stimmt es, dass in der Science-Fiction-Literatur kaum Ausserdische vorkommen, die selbst gern Bücher lesen oder gar Bücher schreiben?

Philipp Theisohn: Nein, das stimmt nicht. Tatsächlich sind die Ausserirdischen schon seit Cyrano de Bergeracs L’Autre Monde (1657) nicht nur literaturaffin, sondern geradezu süchtig nach irdischer Literatur – denn die gibt es nur bei uns, weil wir kulturell vergleichsweise rückschrittlich sind. Im 18. Jahrhundert wenden sich die Aufklärer in ihren Texten immer wieder an die «Mondbürger», im frühen 20. Jahrhundert finden wir auf dem Mond Bibliotheken mit Mikrofiche-Abteilung. Und zwei der vielleicht populärsten galaktischen Erzählungen, nämlich Isaac Asimovs Foundation und Douglas Adams’ Anhalter-Zyklus, sind Erzählungen über Bücher, nämlich über Enzyklopädien.

Was aber den Mars betrifft: In der literarischen Vorlage zu Ridley Scotts Film «Blade Runner», Philip K. Dicks Roman «Do Androids Dream of Electric Sheep?» (1967) gibt es eine ganz bezeichnende Konstellation. Da finden die auf dem Mars produzierten Androiden in der planetarischen Einöde immer wieder Raketen, die mit Schmuggelware gefüllt sind: mit irdischer Science Fiction nämlich, in denen immer noch vom blühenden, abenteuerlichen Mars erzählt wird. Und daraus bastelt man sich dann eine virtuelle Vorgeschichte: Der Mars, wie er hätte sein sollen. Also: Die Bücher kommen da oben schon irgendwann an. Was diejenigen, die sie finden, dann damit anstellen, lässt sich aber noch nicht sagen.