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In den letzten Wochen hat Paris langsam wieder in den Alltag zurückgefunden. Ohne Unbehagen nehme ich inzwischen wieder die Metro, auf den Strassen ist Gelächter zu hören, und unter den Wärmelampen der Cafés und Bars versammelt sich das Pariser Nachtleben.
Im Gegensatz dazu waren die ersten Tage nach den Attentaten schwer und erdrückend gewesen. Am Freitagabend, zum Zeitpunkt der Anschläge, hielt ich mich gerade im Marais-Quartier auf, um mit Schweizer Freunden auf das Wochenende anzustossen. Vom ersten Anschlag erfuhr ich über ein Push Feed des Tages-Anzeigers. Bald folgte ein zweiter und dritter Push Feed. Uns wurde klar, dass es sich nicht um einen einzelnen Anschlag handelte, sondern um eine ganze Serie von Attentaten. In kürzester Zeit wurden auf Anordnung der Polizei alle Bars und Restaurants geschlossen. Rasch kehrten wir in meine Wohnung zurück, die glücklicherweise in der Nähe lag.
Per Twitter, Internet und TV verfolgten wir die schrecklichen Ereignisse. Erneut gab es eine Schiesserei, anderswo eine Geiselnahme, nochmals ein Attentat auf ein Restaurant, viele Tote. Facebook schaltete das Emergency Check-in ein und forderte mich auf, mich in Sicherheit zu markieren. Dennoch, oder vielleicht gerade aufgrund des Ausmasses der ganzen Situation schien alles so surreal. Ich fühlte weder Angst noch Trauer.
Die Situation schien unkontrollierbar, wir erwarteten jederzeit einen weiteren Anschlag. Irgendwann beruhigte sich die Lage. Um zwei oder drei Uhr, als der französische Fernsehkanal seine Berichterstattung beendete und seine Zuschauer anschliessend mit einem uralten Doku über Hochseefischer zu beruhigen versuchte, gingen wir zu Bett.
Wir waren froh, als am Sonntag nach den Anschlägen Sonnenstrahlen und ein blauer Himmel Paris zumindest optisch aufheiterten. Noch am Tag zuvor war die Atmosphäre in den Strassen gedrückt gewesen, eine unerträgliche Spannung hatte in der Luft gelegen. Nun war die Stimmung entspannter, die schmalen Gassen waren voller Leute und die Touristen zückten wieder ihre Selfie-Sticks.
Wir sassen wir in einem Café in der Nähe der Place de la Republique, tranken Heisse Schokolade oder nippten an einem Glas Rosé. Draussen wurde es langsam dunkel und wir beobachteten wie die Leute gemütlich die Strasse entlangschlendern. Plötzlich brach Hektik aus, Leute begannen zu rennen, einige stürmten panisch ins Restaurant. Geschirr fiel klirrend auf den Boden, Stühle kippten um. Der Kellner führte uns alle sogleich in den Keller. Wir warteten unruhig. Jeder versuchte, per Handy herauszufinden, was die Ursache des soeben Geschehenen war. «Schiesserei bei der Place de la Republique», teilte uns einer der Gäste mit, bevor er einen grossen Schluck von seinem Bier nahm, das er während trotz der ganzen Aufregung nicht aus seinen Händen liess. Zehn, fünfzehn Minuten Ungewissheit. Dann kam die Erlösung – Fehlalarm. Anscheinend hätten Kinder mit Knallkörpern gespielt.
Wir entschieden uns, nicht wie geplant in ein Restaurant zu gehen, bezahlten die Rechnung und machten uns voller Unbehagen auf den Nachhauseweg. Dieser kurze Moment echter Angst machte mir die ganze Dimension dessen bewusst, was an diesem Wochenende geschehen war. Noch am selben Abend eröffnete ich ein Twitter-Konto, um stets auf dem Laufenden zu bleiben.
Am nächsten Morgen ging ich zu Fuss zur Universität. Ich mied Plätze mit vielen Leuten und nahm den Umweg um Notre Dame herum in Kauf. In der Vorlesung schienen sowohl die Professorin wie die Studierenden zerstreut. Auch meine Gedanken waren fern von Slides und Bulletpoints. Ich empfand jedoch den Unialltag als willkommene Ablenkung.
Dann – ich sass gerade in der Bibliothek – wurden wir per Durchsage plötzlich aufgefordert, das Gebäude zu verlassen und uns Richtung Boulevard de Saint Germain zu entfernen. Zwei Universitätsgebäude wurden evakuiert. Die Polizei näherte sich mit heulenden Sirenen, bald wurde das Militär aufgeboten. Zwei Stunden später kam die Entwarnung – Fehlalarm, verursacht durch die liegengelassene Tasche eines Studenten. Der kurze Moment voller Ungewissheit reichte jedoch aus, um für einen Augenblick die Angst von Sonntagabend wieder aufleben zu lassen.
Bereits wenige Tage später kehrte der Alltag zurück, ich fühlte ich mich wieder wohl und sicher. Die zweite Evakuation an der Universität in der Woche nach den Attentaten brachte mich kaum mehr aus der Fassung. Bei einer Tasse Tee im Café gegenüber der Universität wartete mit einer Kollegin auf die Fortsetzung des Unterrichts.
Dennoch, ich denke oft an die Opfer, den Schmerz derer Angehörigen und an die Menschen in Krisengebieten, die jeden Tag mit einer solchen Angst leben müssen. Und ich hoffe, dass sich die Menschen nach diesen schlimmen Taten weiterhin mit Hoffnung und Liebe begegnen und sich nicht vom Hass anstecken lassen.
An meinen Plänen, noch eine Weile in Paris zu bleiben und eine Arbeit zu suchen, ändert sich vorerst nichts. Ich hatte und habe immer noch eine tolle, intensive Zeit an der Universität und freue mich auf alles, was nach meinem Studienabschluss in diesem Semester folgt.